Erstmal Holz hacken, auch wenn‘s ungewohnt ist.

Die Rollenverteilung ist geradezu klassisch: Die Mädchen sitzen gesellig beieinander und schnitzen Spindeln, während die Jungen mit wuchtigen Schlägen Holzscheite spalten. Ob es bei den Vorfahren in der Steinzeit schon genauso aussah?

Spindeln schnitzen. Und damit kann man Feuer machen?

Die Wildnispädagogin Regina Utter vermittelt der 9c gerade eine Vorstellung, wie das Leben in der Natur wohl gewesen ist: „Entschleunigt“, sagt sie. „Die Leute hatten damals eben nur ein Projekt am Tag, wir haben heute zwanzig.“

Die Familie von Mitschüler Fynn hat Hof und Küche zur Verfügung gestellt. Dort hat die Klasse sich eingerichtet, um mit dem Material der Kursleiterin zu erfahren, wie man mit einfachsten Mitteln in der Natur überleben kann. Die Pädagogin betont, dass wir Menschen Teil der Natur sind und kein Gegenpart.

Eine der größten Errungenschaften der Menschheit war sicher, das Feuer zu  beherrschen und es für sich zu nutzen. Gut gesagt, woher Feuer nehmen, wenn nicht gerade nebenan der Blitz eingeschlagen hat? Regina Utter weiß Rat. Kenntnisreich berichtet sie vom Leben der Vorfahren. Man braucht Bogen, Spindel, Handhalter, Spindelbrett – alles selbst herzustellen, weiterhin Zunderschwamm, ersatzweise Jutefasern und Werkzeug zur Holzbearbeitung. Weiche, schnell wachsende Hölzer sind die erste Wahl.

Lagerfeuer-Stimmung kommt auf.

Da kann man aber wirklich die Geduld verlieren.

Und nun wird geschnitzt und gehackt, dass die Späne fliegen. Ziemlich ungewohnte Tätigkeiten für Jugendliche, die es gewohnt sind, Wärme auf Knopfdruck abzurufen. Da ist Geduld gefragt, die nicht jeder auf Anhieb aufbringt. Laute des Unmuts sind zu hören, vorsichtig formuliert. Holz kann ziemlich widerspenstig sein. Und mancher Arm ermüdet beim Drillen von Holz auf Holz, um Zündfunken zu erzeugen. Ein Schluck heißer Kakao oder Punsch hilft beim Durchhalten.

Einige hat der Ehrgeiz gepackt: „Das wollen wir doch mal sehen!“ Und da! Der erste Rauch steigt auf, es riecht verbrannt und nach einer kleinen Weile ist ein Glutnest entstanden. Damit lassen sich die aufgeschichteten Scheite in der Feuerschale anzünden. Bald züngeln Flammen hoch, Lagerfeuergefühl kommt auf. Man kann gut nachfühlen, welchen Wert ein so erarbeitetes Feuer gehabt haben muss.

Gefäße herstellen mit der Technik des Glutbrennens. Regina Utter macht vor, wie’s geht.

Darauf kann man aufbauen. Kundige Hände haben in der Küche Teig für Stockbrot zubereitet, der jetzt um Stöcke gewickelt und in der Hitze gebacken wird.

Regina Utter zeigt, wie mit glühender Holzkohle Holzschalen und sogar Kochtöpfe hergestellt wurden. Die Methode des Glutbrennens scheint attraktiv, denn in Windeseile habe die Meisten ein Stück Holz vor dem Mund. Mit ihrer Atemluft fachen sie darauf liegende Glut an, die Vertiefungen in das Holz brennt.

Regina Utter weiß wohl, dass ihr Anliegen, das Hinführen zu verantwortungsvollem Umgang mit Natur und Mitmenschen, mitunter Befremden auslöst. Was würde sie jemandem sagen, der jemanden wie King Charles III. belächelt, weil er Bäume umarmt? Ihre Antwort: „Mach doch mal.“

Michael Rausch