Bandagen und Boxhandschuhe kommen später. Erst geht es um Haltung.

Boxen und Selbstverteidigung als AG an der AES? Durchaus. Wer nun aber raue Sitten auf dem Schulhof vermutet, liegt gründlich daneben. Es geht bei den neuen Angeboten am Nachmittag nämlich um die Stärkung des Selbstbewusstseins, nicht um rohe körperliche Auseinandersetzung. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind in jungen Jahren nicht unbedingt stark ausgeprägte Eigenschaften. Aber sie lassen sich trainieren, und das gehört schließlich zum Schulprofil der AES.

„Ihr müsst stehen wie eine Königin“, sagt Aleksandr Schunkow. Die Krone ist klar zu erkennen.

So sieht es auch Schulsozialarbeiterin Jana Windirsch, der es um Vorbeugung geht. Deswegen schob sie die die beiden AGs an. Finanziert werden sie mit Geldern aus dem Aktionsprogramm des Bundes „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“. Da die AES die Mittel nicht selbst beantragen konnte, wandte sie sich dazu an den Essener Don Bosco Club, einen freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Der wiederum vermittelte Diplomsportlehrer Aleksandr Schunkow zum Boxtraining und Joachim Müller für die Selbstverteidigung.

Mit der Linken hältst du den Gegner auf Distanz.

Und so stehen die Kinder nun da, ganz erwartungsvoll und warten darauf, die erste linke Gerade ausfahren zu können. Jungen und Mädchen müssen aber lernen, dass es vor den Schlägen um Beinarbeit geht. „Eins, eins, eins…“ schallt es durch die Sporthalle. Der Trainer führt vor, wie’s gemacht wird. Linker Fuß vor, rechten Fuß nachziehen. Und nochmal: „Eins, eins, eins.“

Linker Fuß und linker Arm vor.

Wer sich vorbeugt, wird aufgerichtet, es geht um Haltung. „Ihr müsst eine Haltung haben wie ein König.“ Den Mädchen erklärt Schunkow: „Ihr müsst zuerst wissen, welche Möglichkeiten hat dein Körper?“ Stabil zu stehen scheint das Geheimnis zu sein. Ein Dreieck bilden, nicht beugen, Kinn und linke Hand bilden eine Linie. Und die Verteidigung? Dafür ist die Rechte zuständig, die schützt das Gesicht. Die Linke hält erst mal den Gegner auf Distanz. Es folgen Liegestütze und Situps. Und so bleibt der linke Haken vorerst noch theoretisch. Zu vieles ist noch weiter unterhalb zu lernen. „Wie beim Alphabet“, meint Aleksandr Schunkow. „Da fängt man auch mit dem A an.“

Sieht simpel aus, ist aber hochwirksam. Joachim Müller zeigt, wie’s geht.

Da geht es bei der Selbstverteidigung schneller zur Sache. Den Arm, mit dem eine Schülerin nach ihm greift, biegt Trainer Joachim Müller mit einem simpel aussehenden Hebelgriff hoch und blockiert die Angreiferin. Verblüffend! Er will Techniken zur Abwehr und zur Kontrolle des Gegners vermitteln. Selbstbehauptung und Gewaltprävention sind seine Anliegen: „Auf den Grundlagen des Gesetzgebers, was überhaupt Gewalt ist“.

Mit dem richtigen Hebel kann man auch einen deutlich schwereren Gegner blockieren.

Die zehn Kinder erwarten, dass sie lernen, sich zu „wehren, wenn man angefasst wird“. Und das üben sie nun. Ein paar Handgriffe und der Gegner ist blockiert. Müllers Credo ist allerdings: „Der beste Kampf ist immer der, den man gar nicht erst kämpft. Das ist auf jeden Fall ein gewonnener Kampf.“

So wird der Griff an die Schultern abgewehrt.

Paarweise lernen die Kinder die Griffe, die die Sicherheit geben, dass nicht jeder ihnen nach Gutdünken zu nahe treten darf.  Es sind Techniken, die Müller für seine Zwecke aus asiatischen Kampfsportarten herausdestilliert hat. Angewandte Hebelgesetze, die mit „null Kraftaufwand“ funktionieren. Und eines lernen sie alle sofort: Wer zweimal aufklopft, muss sofort losgelassen werden. Soviel zur Fairness.

Weiter geht’s, das Programm ist umfangreich: Übungen zur Befreiung aus dem Schwitzkasten, zur Abwehr eines Griffes von hinten an die Schulter und des Würgegriffs von vorn. Dabei scheinen Körpergröße und -gewicht keine Rolle zu spielen. Wichtig nur: Die Griffe müssen sitzen und im richtigen Moment parat sein.

Michael Rausch