Begegnung mit jüdischer Kultur

Beeindruckendes architektonisches Element: die Kuppel mit Galerie.

Es ist purer Zufall. Mit den Tag des Besuchs in der Essener Synagoge am Steeler Tor hat die 10a den Tag von Jom Kippur erwischt, dem höchsten jüdischen Fest, das am Abend beginnen würde. Der beeindruckende Bau dient allerdings seit Langem nicht mehr religiösen Zwecken, sondern ist zum „Haus jüdischer Kultur“ geworden. Und darum geht es bei diesem Unterrichtsgang im Religionsunterricht, um allgemeine Kenntnisse über eine uralte Kultur, die auf allen Kontinenten zu finden ist.

Das Modell. So war die Synagoge geplant.

Geführt von der Religionswissenschaftlerin Yasmin Koppen betreten die Jugendlichen mit den Lehrerinnen Carolin Brömmel und Hanen Massous eine fremde Welt. Gleich am Modell des prächtigen Gebäudes in neobyzantinischem -/Jugendstil wird deutlich, dass sich hier niemand verstecken wollte. Ganz im Gegensatz zu anderen Synagogen weltweit, die möglichst unauffällig daherkommen wollten, wie Fotos belegen. Die jüdische Gemeinde in Essen sah vor knapp 110 Jahren keinen Grund, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, so Yasmin Koppen: „Der Essener Gemeinde ging es nicht so schlecht.“ Der Bau sollte an den Tempel in Jerusalem erinnern und auffallen.

Anhand eines historischen Fotos erklärt die Religionswissenschaftlerin Yasmin Koppen (r.) der 10a den ehemaligen Thora-Schrein.

Synagoge ist ein griechisches Wort und bezeichnet das, was im Hebräischen Knesset heißt: Versammlung. „Aber warum sitzen die Frauen denn getrennt auf einer Empore?“ wollen Schülerinnen wissen. Die Antwort ist schlicht und ergreifend und sie stößt auf einiges Unverständnis: „Um die Frauen vor den Männern zu schützen.“ Die nachgeschobene Erklärung bringt Licht ins Dunkel der Geschlechterbeziehung. Wenn Frauen auch bei männlichen Übergriffen grundsätzlich schuldig sind, erstickt man Gelegenheiten am besten gleich im Keim durch getrennte Sitzordnung.

Überhaupt, die Frauen. Ein ganzes Kapitel widmet sich den Regeln zur Scheidung. Wäre der Ehemann von einer Reise oder aus einem Krieg nicht mehr heimgekehrt, wäre die Witwe schutzlos gewesen und in tiefe Armut gestürzt. Also wurden vorab schon blanko Scheidungsscheine ausgefertigt, die im Falle eines Falles aus der Witwe eine Geschiedene machten, die gesellschaftlich besser gestellt war.

David dreht am Rad des großen mechanischen Kalenders.

Es wimmelt von Symbolen in diesem Haus. Man spürt, dass jedes Dekor ein Zeichen sein könnte, das wiederum auf einen Ritus hindeutet. Dann wieder überraschen Fotowände mit Prominenten aus dem Showbusiness: Barbra Streisand, Hans Rosenthal, Kirk Douglas, um nur einige zu nennen. Jüdische Speisegesetze existieren in großer Zahl und sind nur nach intensiver Beschäftigung überschaubar. Da ist der drehbare Tisch mit jüdischen Begriffen in der deutschen Sprache schon leichter zu betrachten. Malochen, Bammel haben oder schmusen sind nur einige wenige Beispiele für Jiddisch, das bis in unsere Tage überdauert hat.

Vor dem Gebäude steht der blau-gelbe Streifenwagen, in dem zwei Polizisten Wache halten. Trauriger Beweis dafür, dass es an Orten wie diesem keine Normalität gibt. Beklemmende Aktualität: Am Abend verhindern internationale Geheimdienste und Einsatzkräfte der Polizei einen mutmaßlichen Anschlag auf die Synagoge in Hagen.

Michael Rausch